Erfahrungsberichte

Gericht in Brandenburg kippt Diagnosepflicht in Attesten

Oftmals werden ärztliche Atteste zur Maskenbefreiung bei einer Kontrolle nicht anerkannt, wenn auf dem Attest keine Diagnose vermerkt ist.

Ein ärztliches Attest ist zur Vorlage bei Dritten vorgesehen. Nach §203 StGB (Verletzung von Privatgeheimnissen) macht ein Arzt sich strafbar, wenn er Patientendaten, wie z. B. die Diagnose offenbart.

Die sächsische Ärztekammer vertritt seltsamerweise (in diesem Artikel des Ärzteblattes nachlesbar) die Auffassung, dass ein Attest auch eine Diagnose enthalten müsse (Artikel vom 10. November 2020).

Entgegen der Ärztekammer vertrete ich die Auffassung, dass allein ein Arzt entscheiden sollte, ob jemandem eine Maske zuzumuten ist oder nicht. Würde man der Argumentation der Ärztekammer in letzter Konsequenz folgen, dann käme ein ohnehin gesundheitlich vorbelasteter Mensch in die Situation, potentiell mit jeder Käseverkäuferin die eigenen Krankheitssymptome diskutieren zu müssen. Es liegt nahe, dass die Käseverkäuferin eher nach aktueller Lust, Laune und Wetterlage urteilen würde, und nicht mit der gebotenen Sorgfalt eines kompetenten Arztes.

Bemerkenswert ist, dass sich im Jahr 2020 mehrere Gerichte dieser absurden Position der Ärztekammer angeschlossen haben. Anders das Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg: Mit Urteil vom 7. Januar 2021 hat es in einem Eilverfahren entschieden, dass die Diagnosepflicht unzulässig ist. Hier ein Auszug aus der Begründung:

Die Versagung des begehrten vorläufigen Rechtsschutzes habe für den Antragsteller zur Folge, dass er seine konkrete Diagnose und sich daraus ergebene Folgen an einer Vielzahl von nicht-öffentlichen Stellen (Geschäfte, öffentliche Verkehrsmittel, Arbeits- und Betriebsstätten, Büro- und Verwaltungsgebäude, Versammlungen unter freiem Himmel, religiöse Veranstaltungen) vor Ort offenbaren müsse. Hierbei handele es sich aber um personenbezogene Gesundheitsdaten, die besonders sensibel seien und daher einem besonders hohen Datenschutz unterfielen. Soweit der Antragsteller befürchte, seine Gesundheitsdaten könnten durch Mund-Propaganda im Dorf schnell die Runde machen, sei dies nicht von der Hand zu weisen. Denn die Verordnung selbst bestimme nicht, dass die Personen, gegenüber denen der Nachweis zu erbringen sei, Stillschweigen über die Gesundheitsdaten zu bewahren haben. Auch sei die Preisgabe der erhobenen Gesundheitsdaten danach nicht bußgeldbewehrt.

Gesamter Text: https://www.berlin.de/gerichte/oberverwaltungsgericht/presse/pressemitteilungen/2021/pressemitteilung.1037452.php

Die Begründung der Gerichts erscheint mir – anders als der Standpunkt der Ärztekammer – in sich schlüssig und nachvollziehbar.

Mir sind mehrere Fälle bekannt, in denen die Polizei nicht nur die Echtheit des Attestes kontrolliert, sondern auch die darin enthaltenen Daten notiert hat. In einem Fall war es mein eigenes Attest. Ich habe den Beamten darauf direkt angesprochen und er hat mir offen heraus gesagt, dass bei der Polizei intern (schwarze) Listen von Ärzten geführt werden.

Datenschutz? Pustekuchen!
Bürgerrechte? Mit Füßen getreten!

Unter diesen Umständen ist völlig klar, dass

  1. Ärzte kein Interesse daran haben, eine Diagnose auf dem Attest zu vermerken und
  2. Betroffene ein berechtigtes Interesse daran haben, dass keine intimen Details zu ihrer Diagnose auf dem Attest vermerkt sind.

In einem weiteren Fall ist das ärztliche Attest von der Polizei sogar entwendet worden. Die Rechtsgrundlage dafür wurde von den Beamten nicht mitgeteilt. Ich habe wenige Minuten nach dem Vorfall direkt beim zuständigen Polizeikommisariat 11 in St. Georg angerufen und den Beamten am Telefon darüber aufgeklärt, dass ein Arzt sich potentiell strafbar macht, wenn er die Diagnose im Attest vermerkt. Darüber hinaus habe ich ihm gesagt, dass seine Kollegen mit diesem Verhalten potentiell gegen geltendes Recht verstoßen.

Der Vorgang wird jetzt strafrechtlich geprüft und könnte – nicht nur in diesem Fall – ein unangenehmes Nachspiel für alle beteiligten Polizisten haben.